Es ist Dienstag, 21.32 Uhr. Herr Yoshida rutscht unruhig auf seinem Bürostuhl umher. Er wirft einen Blick aus dem Bürogebäude in Shinjuku. Auch in den Fenstern des gegenüberliegenden Wolkenkratzers flackert noch Licht. „Ich habe schon längst Feierabend.“, murmelt er mit einem Blick auf die Armbanduhr. „Aber mein Chef ist noch hier, und vor dem Chef kann ich nicht nach Hause“. Immer wieder sieht man Geschichten wie diese in Dokumentationen über Japaner und Urlaub.
Ja, er hält sich hartnäckig, der Mythos, dass Japaner wirkliche NIE Urlaub haben. Wenn man es genau nimmt, ist das so falsch. Denn selbstverständlich haben Japaner Urlaub. Das Problem ist nur, dass Sie diesen nicht sehr oft in Anspruch nehmen. Wie viel Urlaub die Japaner gesetzlich haben und wie viele Tage sie wirklich frei nehmen, schauen wir uns jetzt genauer an.
Inhaltsverzeichnis
Wie viel Urlaub haben Japaner?
Nach japanischem Gesetz haben Japaner Anspruch auf mindesten 10 Tage bezahlten Urlaub pro Jahr. Nach einer Qualifizierungsphase von 6 Monaten erhalten sie einen Tag zusätzlich pro Jahr, in dem sie im Job arbeiten. Auf diese Weise können sie maximal zehn zusätzliche Urlaubstage hinzubekommen. Insgesamt sind das also 20 mögliche Urlaubstage in Japan.
Ein Japaner der beispielsweise 2,5 Jahre in einem Unternehmen berufstätig ist, hat gesetzlichen Anspruch auf 12 bezahlte Urlaubstage.
Auch Teilzeitkräfte haben je nach der Anzahl an Tagen, an denen sie arbeiten, Anspruch auf bezahlten Urlaub.
Zugegeben, in Deutschland sind wir mit 24 gesetzlichen Urlaubstagen meistens mehr gewohnt.
Allerdings haben die Japaner genau wie wir eine Reihe Feiertage, an denen Sie nicht arbeiten müssen. Hinzu kommen zum Beispiel im Jahr 2020 genau 15 nationale Feiertage – 2019 gab es dank der Thronbesteigung des neuen Kaisers Naruhito sogar noch mehr.
Wer also bereits eine ganze Weile berufstätig ist, hat in Japan pro Jahr mindestens 20 Tage Urlaub, 15 Feiertage und selbstverständlich die Wochenenden. An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass die oben erwähnte Anzahl der Urlaubstage nur die vorgeschriebene Mindestanzahl darstellt. Genau wie bei uns gibt es manchmal Unternehmen, die ihren Mitarbeitern sogar mehr Urlaub einräumen. Gerade wer in Japan in einem höheren Alter ist und schon lange im gleichen Unternehmen arbeitet, ist oft mit besonders „vielen“ Urlaubstagen gesegnet.
Klingt auf dem Papier doch zumindest ganz anders, als es das Vorurteil von den „Japanern, die sich zu Tode arbeiten“ besagt, oder? Wenn du weiter liest, wirst du allerdings sehen, dass die Arbeitskultur Japans in Wirklichkeit auch heutzutage noch sehr problematisch ist.
Gut zu wissen: Das zu viel Arbeit in Japan ein Problem ist, wird allein schon an der Tatsache ersichtlich, dass es dort ein eigenes Wort für „Tod durch Überarbeitung“ gibt. karoshi heißen diese traurigen Vorfälle. Die Selbstmordrate in Japan ist fast doppelt so hoch wie bei uns. Die Regierung geht von 200 Toten durch karoshi aus (Quelle: ARTE Doku auf Youtube – sehr sehenswert). Die Dunkelziffer wird bei mehreren Tausend vermutet).
Wie viel Urlaub nehmen Japaner wirklich?
Kommen wir zu der für uns wirklich überraschenden Nachricht. Die Japaner haben zwar gar nicht so wenig Urlaub, aber sie nehmen ihn kaum in Anspruch. Weniger als die Hälfte der Japaner nimmt den vollen Urlaub, der Ihnen eigentlich zusteht. Laut dem Japan Institute of Labor nimmt der Durschnitts-50-Jährige in Japan sich nur acht Tage bezahlten Urlaub pro Jahr.
Bei uns ist es außerdem üblich, längere Urlaube am Stück zu nehmen. 3 Wochen sind dabei keine Seltenheit. Nicht so im Land der aufgehenden Sonne. Wenn Japaner sich 3 Tage hintereinander frei nehmen, ist das manchmal schon überraschend. Nun darf man das nicht verallgemeinern, der Wandel und der Einfluss der Globalisierung machen sich auch hier bemerkbar.
Und dennoch kam man nicht von der Hand weisen, dass Japaner eine andere Einstellung zum Urlaub oder eine grundsätzliche andere Arbeitsmoral aufweisen.
Warum nehmen Japaner keinen Urlaub?
Zu den häufigsten Gründen gehören:
- Viele Japaner haben ein starkes Verantwortungsgefühl. Fleiß, Demut, harte Arbeit – diese Werte werden stark glorifiziert. Ein längerer Urlaub wird diesem Denken nicht gerecht.
- Das Denken als Kollektiv. Wer Urlaub nimmt, halst den anderen dadurch womöglich noch mehr Arbeit auf. Anderen zur Last fallen ist für Japaner aber ein Unding und ein Frage des Respekts
- Japaner wollen nicht, dass der Chef oder andere Vorgesetzte und Mitarbeiter sie für faul halten. „Wie kann ich mir alle Urlaubstage nehmen, wenn andere das nicht tun?“
- Das Aufsparen der Urlaubstage für Notfälle und Krankheiten. Ein äußerst interessanter Punkt auf den wir gleich genauer eingehen.
Ein weiteres Problem mit den Urlaubstagen in Japan ist, dass Krankheitstage in der Regel von den Urlaubstagen abgezogen werden. Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel und viele Unternehmen regeln dies heutzutage anders. Aber in vielen traditionellen Firmen ist eine Erkältung oder Migräne keinen gesonderten Krankheitstag wert. Zum Arzt gehen und krank schreiben lassen wie bei uns ist also manchmal nicht möglich – bleibt der Japaner zu Hause, muss er sich dafür Urlaub nehmen.
Wie lange arbeiten die Japaner?
In der Theorie gilt in Japan wie in Deutschland die 40 Stunden Woche. Dabei sind fünf Arbeitstage mit jeweils acht Stunden die Norm. Das bedeutet aber nicht, dass Japaner tatsächlich auch nur diese Anzahl an Stunden arbeiten. Um als fleißiger Arbeiter angesehen zu werden, gehen viele Japaner eben nicht vor dem Chef. Arbeitszeiten von 8 Uhr morgens bis 22 Uhr abends sind keine Seltenheit. So kommen die Japaner auf durchschnittlich 1772 Stunden Arbeitszeit pro Jahr. Zum Vergleich, die Deutschen liegen bei 1432.
Laut Zeit.de waren es 1980 noch 2121 Arbeitsstunden pro Jahr, insofern scheint eine Angleichung an unsere Verhältnisse zumindest absehbar. Dass Japaner so lange im Büro sitzen, bedeutet übrigens nicht immer, dass sie auch wesentlich mehr geschafft bekommen. Tatsächlich zeigen Studien, dass die Produktivität pro Stunde dadurch deutlich zurückgeht. Auch wenn also so mancher Japaner bereits seinen Dienst für den Tag erfüllt hat, bleibt er einfach auf seinem Stuhl sitzen. Nicht wer viel geschafft bekommt ist fleißig, sondern wer lange bleibt. Hinweis: Bitte denkt daran, dass sich dies nicht immer verallgemeinern lässt.
Gut zu wissen: In Japan arbeiten Arbeitnehmer im Durchschnitt 12 Jahre im selben Unternehmen. Das ist die längste Zeit in allen Industriestaaten. Tendenz steigend.
Es gibt also keinen Zwang zu Überstunden, vielmehr einen sozialen Druck, nicht als erster von der Arbeit nach Hause zu gehen.
Wann machen Japaner Urlaub?
Ab und zu bringen es die Japaner dann doch übers Herz bringen, sich ein paar Tage auf die faule Haut zu legen. Doch wann genau ist das? Wann ist die beliebteste Urlaubszeit bzw. Reisezeit für Japaner? Es gibt nur wenige Gelegenheiten, die Urlaubstage mit Feiertagen zu kombinieren. Für Dich als Japan-Interessierten sind diese Zeiten auch wichtig zu wissen! Denn wenn Du einen Urlaub in Japan planst, solltest du diese Zeiten vermeiden. Die Hotels sind dann um ein vielfaches teurer, die Shinkansen und Flughäfen überfüllt.
Es gibt drei besonders beliebte Zeiten, in denen Japaner Urlaub machen. Die „Golden Week“ Anfang Mai, die Sommerferienzeit mit der „Obon Week“ Mitte Juli oder August, und die Zeit um Neujahr. Alle vier bis fünf Jahre fallen außerdem ein paar Feiertage zusammen, die die sogenannte „Silver Week“ bilden.
1. Golden Week
Die „goldene Woche“ ist die Urlaubswoche schlechthin in Japan. Vom 29 April bis zum 5. Mai liegen vier Feiertage kurz hintereinander. Wenn man sich noch ein paar Urlaubstage dazu nimmt, ist es die günstigste Gelegenheit für einen längeren Urlaub. Die meisten Japaner verreisen (meist innerhalb Japans) oder besuchen Ihre Familie. Als deutscher Besucher solltest Du diese Zeit lieber meiden.
2. Obon Week
Das Obon Fest wird in vielen Teilen Japans gefeiert. Die meisten Japaner ehren dabei ihre Vorfahren, von denen sie glauben, dass Ihre Geister während der Obon Zeit in diese Welt zurückkehren. Je nach Region wird Obon entweder vom 13. bis 15. Juli oder August zelebriert. Viele Japaner kombinieren diese Zeit mit ein paar Urlaubstagen und nehmen sich so etwas längere Sommerferien.
3. Neujahr
In Japan hat Neujahr einen höheren Stellenwert als bei uns. Viele Unternehmen haben vom 29. Dezember bis zum 3. Januar geschlossen. Studenten und Schüler haben bereits ab Weihnachten frei.
4. Silver Week
Alle vier bis fünf Jahre liegen die beiden Feiertage zur Achtung vor dem Alter und dem Herbstanfang günstig um ein Wochenende verteilt. Das ist zum Beispiel im Jahr 2020 so. Hier bietet sich für die Japaner ein verlängertes Wochenende an.
…und wo machen die Japaner Urlaub?
Natürlich in Japan! Wer kann es Ihnen verdenken, es ist einfach schön dort! Tatsächlich ist der Inlands-Tourismus in Japan bis heute sehr stark. Ein Besuch in den Kulturstädten wie Kyoto oder Entspannung in einer Onsen-Stadt mit heißen Quellen steht dann an. Wer etwas mehr Zeit und Geld hat, reist für einen Kurztrip nach Okinawa oder Hokkaido.
Wenn die Japaner ins Ausland gehen, sind die umliegenden Gegenden wie Südkorea, Taiwan und China beliebt. Ganz vorne mit dabei ist aber auch die USA oder Hawaii. Wenn die Japaner nach Europa fliegen, gehören Deutschland und Spanien zu den Spitzenreitern in Punkto Urlaub. Hier gibt es eine interessante Studie (auf Englisch), falls Euch genaue Zahlen interessieren: https://www.tourism.jp/en/tourism-database/stats/outbound/
Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Arbeitskultur in Japan verändern?
Sowohl die japanische Regierung als auch die japanischen Firmen unternehmen in jüngster Zeit mehr, um Japaner sozusagen zu ihrem Glück beziehungsweise Urlaub zu zwingen. Seit April 2019 müssen Japaner mindesten 5 Tage bezahlten Urlaub pro Jahr nehmen. Viele Unternehmen bieten Ihren Mitarbeitern kleine Belohnungen, wenn Sie mehrere Tage am Stück Urlaub nehmen. Und wieder andere schalten um 19 Uhr einfach den Strom auf dem gesamten Firmengelände aus.
Die ersten gesetzlichen Regulierungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Um einen Unterschied zu machen, muss der Wandel aber in den Köpfen und der Mentalität der Menschen stattfinden. Nur wenn sich Japaner nicht mehr schuldig fühlen, wenn sie früh nach Hause gehen oder Urlaub nehmen, kann sich dauerhaft etwas ändern.
Letztendlich ist es heutzutage noch stark vom Unternehmen abhängig, wie viele Stunden ein Japaner arbeitet und wie viele Urlaubstage er nehmen darf bzw. nimmt. In einem fortschrittlichen Unternehmen mag so mancher ein entspannteres Arbeitsleben und eine bessere Work-Life-Balance haben als wir hier in Deutschland. Vielerorts ist Arbeiten in Japan allerdings alles andere als erfüllend.
2 Kommentare zu „Japaner und Urlaub – Ein Schwieriges Verhältnis“
Wieder ein Interessanter Artikel!
Golden Week ist wirklich die Hölle, Hotels in ganz Japan sind ausgebucht… Und besonders schlimm war das 2019 als wegen des Kaiserwechsels die Golden Week verlängert wurde. Praktisch ganz Japan dachte sich, lass mal in die Ferien gehen…
Danke Dir, das freut mich! Haha, ja das glaube ich Dir sofort, bisher hab ich den Zeitraum immer erfolgreich umschifft 🙂 aber war sicherlich auch eine Erfahrung wert